Wie können die Unternehmen in der Region den zunehmenden Mangel an Fachkräften bewältigen? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Seeoner Gesprächs, das die TH Rosenheim gemeinsam mit der Wirtschaftsvereinigung Seeoner Kreis veranstaltete. Dabei erläuterten Fachleute aus der Wirtschaft und von der Hochschule die zentralen Herausforderungen und zeigten Lösungsansätze auf. Als Ehrengast ordnete der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Dr. Florian Herrmann, das Thema Fachkräftemangel aus Sicht der Staatsregierung ein.
Nach der Begrüßung der mehr als 100 Gäste im Kloster Seeon durch den Vorstandsvorsitzenden des Seeoner Kreises, Gerald Rhein, gab TH-Präsident Prof. Heinrich Köster einen Überblick über die Aktivitäten der Hochschule. Als wichtigen Baustein für die Zukunft nannte er die verstärkte Internationalisierung, um noch mehr Studierende aus dem Ausland an die TH Rosenheim zu holen. „Unser langfristiges Ziel ist, von derzeit etwa 6.500 auf über 10.000 Studierende zu kommen. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland mit immer weniger Schulabgängern kann uns das nur gelingen, wenn wir auch einen spürbaren Zuwachs aus dem Ausland haben“, verdeutlichte Köster.
International Bachelor of Engineering startet im Sommersemester 2023
Vor diesem Hintergrund startet die TH Rosenheim zum Sommersemester 2023 den neuen Studiengang International Bachelor of Engineering. Bei diesem deutschlandweit einzigartigen Modell können Studierende aus dem Ausland an den Standorten Rosenheim und Burghausen ein ingenieurtechnisches Bachelorstudium auf Englisch beginnen. Während der ersten drei Semester verbessern sie zusätzlich ihre Deutschkenntnisse, um das Studium ab dem vierten Semester auf Deutsch fortzusetzen. „Davon erwarten wir uns zweierlei: Zum einen zusätzliche Studierende und damit Fachkräfte für den heimischen Arbeitsmarkt, zum anderen Botschafter für unsere Hochschule und für die wirtschaftsstarke Region, wenn Absolventinnen und Absolventen doch in ihre Heimatländer zurückkehren.“
Wie bedeutsam das Thema Fachkräftemangel für die Firmen in Südostbayern ist, zeigt eine Umfrage, die im Vorfeld des Seeoner Gesprächs von Professorin Dr. Brigitte Kölzer von der Fakultät für Betriebswirtschaft der TH Rosenheim durchgeführt wurde. „Circa 90 Prozent der befragten Unternehmen ordnen die Gewinnung von Fach- und Führungskräften als höchst wichtiges Thema ein. Vor allem in den Bereichen Technik/Produktion und Informatik/IT ist der Bedarf an Fachkräften signifikant höher als das verfügbare Angebot an qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“, so Kölzer. In der Umfrage wurde auch deutlich, dass diese sich bessere Rahmenbedingungen für die Gewinnung und Beschäftigung von Fachkräften aus dem Ausland wünschen. Hierbei geht es um Themen wie Vereinfachung der Regelungen für Arbeits- oder Praktikumsverträge, bezahlbaren Wohnraum für die Studierenden oder vereinfachte Vorschriften hinsichtlich der Visa und Aufenthaltsgenehmigungen.
Mitte der 30er-Jahre fehlen etwa 700.000 Arbeitskräfte
Die Dringlichkeit zum Handeln betonte Dr. Christof Prechtl, Leiter Abteilung Bildung, Arbeitsmarkt, Fachkräftesicherung und Integration bei der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). „Schon jetzt fehlen über 230.000 Arbeitskräfte in Bayern, Mitte der 30er-Jahre werden es etwa 700.000 sein“, so Prechtl. Gesteuerte Zuwanderung sei als ein Instrument unabdingbar, um das wachsende Problem abzumildern. „Entscheidend ist neben der fachlichen Ausbildung die soziale Integration, die Menschen müssen sich bei uns wohlfühlen. Das ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam haben“, hob der vbw-Experte hervor.
Unternehmen in der „Spirale des schleichenden Todes“
Viele praktische Denkanstöße lieferte der Unternehmer und Buchautor Stefan Dietz mit seinem Vortrag „Glücksfall Fachkräftemangel“. Der immer größer werdende Leidensdruck in den Personalabteilungen der Unternehmen könne dafür sorgen, dass sich überholte Dinge im Arbeitsalltag verändern, zum Beispiel beim Thema Remote Work (Fernarbeit) oder der Führung von Mitarbeiter*innen. „Wenn eine Firma als Arbeitgeber nicht attraktiv ist und sich auch nicht verbessern will, dann landet sie zwangsläufig in einer Spirale des schleichenden Todes“, sagte Dietz.
Der Arbeitsmarkt habe sich im Vergleich zu früher komplett auf den Kopf gestellt, dabei seien die derzeitigen Verhältnisse erst der Vorgeschmack auf die Zukunft. „Dann werden die Unternehmen in Vorstellungsgesprächen versuchen, bei potenziellen Arbeitnehmern ein möglichst gutes Bild zu machen. Das heißt sinnbildlich: Sorgen Sie dafür, dass bei Ihnen die beste Party stattfindet, dann kommen die Leute gerne zu Ihnen“, so Dietz.
Staatsregierung will „das volle Potenzial ausschöpfen“
Auch der Leiter der Staatskanzlei hob in seiner Rede die hohe Relevanz des Themas hervor. „Der Fachkräftemangel legt die Axt an die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft an, selbst gesunde Unternehmen können dadurch in massive Schieflage geraten. Unser Wohlstand ist ernsthaft in Gefahr, wenn wir nicht entschieden gegensteuern“, unterstrich Herrmann. Es gebe nicht die eine Lösung, um das Problem in den Griff zu bekommen, vielmehr sei eine gemeinsame Anstrengung mit vielen verschiedenen Maßnahmen erforderlich. „Wir tun als Staatsregierung, was wir können. Wichtig ist, dass wir zusammen das volle Potenzial ausschöpfen und kein Talent auf der Strecke bleibt. Unterstützen Sie uns dabei!“